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Ich glaube nicht, dass wir ohnmächtig sind

Ukrainekrieg: Gespräch über die Hoffnung

 

Wir wollen das nicht erleben und doch gibt es gerade Krieg in der Ukraine. Die Bilder machen uns fassungslos, wir denken an die Menschen, die jetzt leiden müssen und machen uns unsere ganz eigenen Sorgen und Gedanken. Anja Josefowitz ist eine unserer Diakoniepfarrerinnen, stellvertretende Superintendentin im Kirchenkreis Unna und gerade im Dauereinsatz: Friedensgebete organisieren, mit Menschen sprechen, die Sorgen haben, mitdenken, was man tun kann. Die Frage, die ihr in diesen Tagen immer wieder gestellt wird: "Was kann ich tun, obwohl ich selber nichts an der Situation ändern kann?" Über Ohnmacht, Hoffnung und die Macht des Gebets sprach Kathrin Risken mit Anja Josefowitz.

Frage: Dieser Tag, an dem wir erfahren haben, dass Putin die Ukraine angegriffen hat... was haben Sie als erstes gedacht?
Josefowitz: Ich habe nicht geglaubt, dass das stimmt. Ich habe es im Radio gehört und mich gefragt: Kann das jetzt wahr sein? Kann das tatsächlich passieren in unserem Europa? Vor allem war ich sehr traurig, weil ich an unsere Kinder gedacht habe und daran, dass wir genau das verhindern wollten, nämlich dass sie Krieg in Europa erleben müssen.

Frage: Die schrecklichen Bilder aus der Ukraine, der Krieg in Europa: Woher bekomme ich in so einer Situation Hoffnung, dass es doch nicht so schlimm kommt?
Josefowitz: Für mich entspringt die Hoffnung aus dem Glauben und aus dem Gebet. Das ist für mich der einzige Punkt, an den ich mich jetzt wenden kann. Ich erlebe es, dass das viele Menschen - zur Zeit auch kirchenferne - so sehen und in die Kirchen strömen, zu Kundgebungen strömen zu denen auch die Kirchengemeinden mit aufrufen. Um das, was man nicht mit Worten ausdrücken kann, wenigstens vor Gott zu bringen. Erstaunlicherweise tun wir das in ganz alten klassischen Gebeten und mit klassischen Symbolen: Ich zünde eine Kerze an und hoffe und bete zu Gott, dass dieser Krieg bald ein Ende hat.

Frage: Am Sonntag habe ich im Radio gehört, dass Russlands Präsident Putin mit Atomwaffen droht. In dem Moment habe ich laut gesagt: "Mein Gott!" Und ich habe das in dem Moment genau so gedacht und gemeint. Wo ist Gott gerade?
Josefowitz: Ja, und genau diese Frage diskutieren gerade viele Menschen rauf und runter. Meine Antwort darauf ist immer wieder: Gott ist da, aber wir Menschen machen unser Ding. Dazu hat Gott uns ja auch befähigt, denn sonst wären wir ja auch nur seine Marionetten auf dieser Welt. Wir machen eben nicht alles gottgerecht und gottgefällig. Aber wir können ihn bitten, uns in diesen schweren Stunden beizustehen. Vor allem den Menschen in der Ukraine aber auch den Menschen in Russland und den vielen Familien, den Frauen und Kindern, die sich jetzt ohne ihre Väter und Ehepartner auf den Weg machen um sich in Sicherheit zu bringen. Das immer wieder vor Gott zu bringen, ist unser einziger Weg mit unserer Ohnmacht und auch mit der Frage "Gott, warum verhinderst Du das nicht?" umzugehen. Gott verhindert das nicht, weil wir Menschen mit einem freien Willen sind. Wir können ihn immer nur darum bitten, dass wir selber zu Einsicht und Vernunft kommen.

Frage: Sie haben in den letzten Tagen selbst Friedensgebete organisiert. Welche Rückmeldungen gab es danach?
Josefowitz: Große Dankbarkeit dafür, dass wir als Kirche so schnell da sind. Dankbarkeit für Räume, die wir zur Verfügung stellen und eine große Solidarität untereinander. Man steht zusammen, egal ob evangelisch oder katholisch, ob muslimisch oder jüdisch oder auch nicht glaubend - das ist wirklich beeindruckend. Diese Formen, diese alte Sprache der Gebete und Lieder, die uns hilft, Dinge vor Gott zu bringen, das macht etwas mit den Menschen. Ich habe in allen drei Friedensgebeten, die ich mit verantwortet habe, im Rahmen eines Gebetes ganz schlichte Kerzen entzünden lassen. Dafür haben sich die Leute bedankt mit den Worten: "Wir haben das Gefühl, wir können etwas tun, wir können unsere Trauer, unser Entsetzen und unser Mitgefühl für die Menschen zum Ausdruck bringen."

Frage: Kindern kann es helfen, ganz aktiv etwas zu tun: kleine Kinder können ein Bild für die Kinder in der Ukraine malen, Größere können sich an Spendenaktionen beteiligen... Was tun wir Erwachsenen?
Josefowitz: Ich glaube, das ist genau dasselbe. Wir haben die Möglichkeit, zu spenden. Wir haben aber auch die Möglichkeit, persönlich über familiäre oder verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen Kontakte aufzunehmen und uns an Kundgebungen zu beteiligen. Das ist im Moment die einzige Chance, uns selber mit dem Thema auseinanderzusetzen und es nicht zu verdrängen. Für ganz, ganz wichtig halte ich es darüber hinaus, dass man über seine Ängste auch spricht. Egal mit wem: Sei es im Freundeskreis, in der Familie, aber tatsächlich auch in der Kirche. Wir haben oft mit Menschen zu tun, die einfach Angst haben. Ich glaube, dieses Sprechen darüber ist ganz, ganz wichtig. Gerade weil wir das durch Corona mit dem "Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen" auch ein bisschen verlernt haben.

Frage: Ist das auch etwas, was uns Mitarbeitenden der Diakonie helfen kann? Diakonie steht ja für die Tat. Wirklich etwas ausrichten, so habe ich das Gefühl, kann ich gerade nicht. Was bedeutet diese gefühlte Ohnmacht für unser diakonisches TUN? Für uns selbst als Menschen aber auch als Mitarbeitende im Umgang mit Klienten...
Josefowitz: Ich glaube gar nicht, dass wir so ohnmächtig sind, denn alleine das zuhörende Ohr ist gut. Das Klagen muss seinen Raum finden. Das muss nicht geschluckt werden. Das darf raus. Da sind alle Mitarbeitenden der Diakonie neben dem fachlichen Blick auf die Menschen, die wir ein Stück begleiten, auch sehr geschult. Der Austausch, das zur Sprache bringen der gemeinsamen Ohnmacht, das hilft tatsächlich auch. Auf der anderen Seite haben wir als Diakonie auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe, und ich glaube schon, dass es gut und richtig ist, auch zu thematisieren, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein darf und dass wir uns für den Frieden einsetzen. Wir achten darauf, dass wir nicht ein eine Spirale des Hasses geraten, die sich etwa gegen die Menschen in Russland richtet. Da haben wir noch einmal eine übergeordnete andere Rolle und da können, müssen und sollen wir etwas tun.

Frage: Sie sind Pfarrerin, es wenden sich öfter Menschen an Sie, die in einer ausweglos scheinenden Situation sind. Die hoffnungslos sind. Finden Sie für diese uns alle betreffende Situation die gleichen Worte wie für Menschen, die "nur" selbst betroffen sind, wie etwa durch schlimme Krankheit?
Josefowitz: Ich begegne zunächst jedem Menschen so, wie er ist und versuche dann, passende Worte zu finden. Manchmal gibt es eben keine Worte und dann nimmt man sich trotz Corona in den Arm oder man weint auch zusammen. Das ist dann das, was authentisch und echt ist und was den Menschen hilft. Egal, in welcher eigenen Lebensverfassung sie sind. Manchmal helfen eben keine schlauen Worte, sondern Gesten.

Wer etwas tun möchte: Ansprechpartner bei uns im Haus ist Udo Sedlaczek. Durchwahl (0 29 31) 7 86 33-35, mobil (01 51) 16 31 45 86.

Spenden kann man mittels der folgenden Bankverbindung:

Diakonie Katastrophenhilfe Berlin
Evangelische Bank
IBAN: DE68 5206 0410 0000 5025 02
BIC: GENODEF1EK1
Stichwort: Ukraine Krise

Wenn man jemanden zum Reden braucht: unsere Telefonseelsorge ist erreichbar unter der Nummer 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222

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